Iceland: Reykjavík

Reykjavík

Das erste Mal allein zum Flughafen fahren, durch die vielen Terminals irren, den richtigen Schalter finden, in den Flieger steigen, über den Wolken schweben und nach 3,5 Stunden wieder fremden, neuen und aufregenden Boden unter den Füßen haben… 

Genau das habe ich über die Osterfeiertage in Angriff genommen. Verreisen. Allein. Nur mit dem Rucksack, einem Lonely Planet Reiseführer in der Tasche und meiner Kamera um den Hals. Manchmal gibt es Augenblicke im Leben, die einem endlich die Augen öffnen. Als ob man aus einem tiefen Schlaf gerissen wird, aus einer Art Seifenblasen-Traum und plötzlich mitten in der Realität steht. So ist es mir ergangen. Nach meiner Reise nach Italien wusste ich, dass es durchaus möglich ist, allein die Welt zu bereisen.

Also ab geht’s in den Flieger und hoch hinauf über die Wolken. Nach 3,5 Stunden habe ich wieder Boden unter den Füßen. Kalter, feuchter Boden mit einem frischen Wind, Regen und einem zähneklappernden Zittern auf dem Körper. Na ja, was hätte ich auch anderes erwarten sollen? Island heißt nicht umsonst Iceland.

Gut, dass es mit dem Bus gleich weiter in die Blaue Lagune geht. Ein Thermalfreibad, das aussieht wie eine Mondlandschaft. Das Wasser ist entspannend warm und fühlt sich in Kombination mit der kalten Luft einfach super an. Ich gönne mir ein gekühltes Wasser und eine Kieselerde Maske auf dem Gesicht. Ich wünschte, ich könnte ewig hier bleiben. Einfach nur schwimmen, entspannen, mich in einer dieser Lavahöhlen verkriechen und einschlafen.

Aber die Reise geht weiter und so erreiche ich pünktlich mit Anbruch der Dunkelheit mein Hostel. Es ist das coolste Hostel, in dem ich je war – denn Hand aufs Herz, ich war zuvor noch nie in einem. Die Atmosphäre ist super, der Stil ist lässig, schlicht und vintage. Die Leute sehen entspannt und locker aus und die Isländer einfach nur super sexy. Ich meine, hallo? Vollbart, dicker Pulli, eisblaue Augen, strahlendes Lächeln…wem wird da nicht etwas schwindelig. Oh, apropos schwindelig. Genauso fühle ich mich, als ich nun an der Empfangstheke stehe und darauf warte, dass mich der blonde Isländer endlich empfängt. Mir geht’s nämlich schlecht. Sehr schlecht. So schlecht, dass ich ununterbrochen überlege, den Rucksack auf den Boden zu schmeißen und in die Toilette schräg gegenüber zu stürmen. Eine fiese, kleine Migräne hat sich in mein Hirn angeschleicht und schlägt nun unnötigerweise auf meinen Magen. Meine Übelkeit ist aufs höchste angekurbelt. Ich schwitze, zittere und schicke ein Stoßgebet an die hübsche Holzdecke, dass die zwei Jungs vor mir sich endlich für irgendeine verdammte Tour entscheiden.

Fünfzehn Minuten später liege ich endlich in meinem Mehrbettzimmer. Allein. Keine Menschenseele teilt das Zimmer mit mir. Gott sei Dank! Denn in meinem Zustand wäre jegliche Menschenanwesenheit eine Katastrophe. Mit Migräne ist nämlich nicht zu spaßen.

Am nächsten Tag geht es mir glücklicherweise wieder besser. Ich trete meine erste Tour an. Sie nennt sich Golden Circle Tour. Ich werde direkt vor dem Hostel abgeholt und zusammen mit sieben anderen vorfreudigen Touristen geht es in einem kleinen Van los. Es werden die bekanntesten Sehenswürdigkeiten abgeklappert (das Goldene Dreieck eben) und als wir am Höhepunkt der Tour ankommen, wird das Wetter immer schlimmer. Islands Wetter ist hauptsächlich im Winter sehr unberechenbar. Es kann schneien, in der nächsten Sekunde wieder regnen und später kommt plötzlich für ein paar Stunden die Sonne raus. Man weiß also nicht, was man bekommt. Und so stehe ich am Aussichtspunkt des Gulfoss-Wasserfalls und kann meine Kamera kaum in den Händen halten, weil es wahnsinnig stürmt. Regen peitscht mir ins Gesicht, ich zittere am ganzen Körper, bin völlig durchnässt und könnte vor lauter Frust und Erschöpfung schreien.

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Abends im Hostel lerne ich viele Leute aus aller Welt kennen. Wir trinken isländisches (starkes) Bier, spielen Karten, quatschen über Gott und die Welt und ich bekomme von all den Reisegeschichten nicht genug. Die einen haben Island nur als Zwischenstopp gewählt, andere fliegen wieder nach Hause und wieder andere machen gleich eine komplette Weltreise. Ich komme aus der Begeisterung nicht heraus und schwöre mir selbst: das will ich auch!

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Der nächste Tag ist bis zum Mittag planlos. Also nutze ich die Möglichkeit und spaziere durch Reykjavík. Ich liebe diese Stadt, die bunten Häuser, die Rentierpullover, diese Lässigkeit…ich fotografiere was das Zeug hält, um auch ja jeden Winkel und jede Straßenecke für die Ewigkeit zu haben.

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Und dann geht’s schnorcheln. Mit den Taucher Guides aus Schottland und Frankreich fahren meine neuen Schnorchel-Freunde und ich zum Thingvellir National Park. Dort zwängen wir uns in Neoprenanzüge, bekommen einige wichtige Anweisungen und dann gehts ab ins kalte Wasser. Ich spüre das Wasser kaum, weil der Anzug mich so einschnürt, dass ich stark vermute, nach der Schnorchelaktion keine funktionsfähigen Hände mehr zu haben. Da ich eine Kontaktlinse in der Blauen Lagune verloren habe und die andere im Abflussrohr der Hostel Dusche gelandet ist, bekomme ich meine Brille an das Handgelenk gebunden, um unter Wasser wenigstens etwas zu sehen. Blöder blinder Fisch. Aber – oh Wunder! – das Wasser ist so glasklar, dass selbst die blindesten Fischer unter uns mit einem Mal alles (etwas besser als verschwommen) sehen können. Es ist atemberaubend. Leider schwimmen keine Fische in dem See, aber das macht nichts. Wir verbringen 20 Minuten in dem kalten Wasser. Das reicht auch, denn als wir am Ziel unserer kleinen Schwimmrunde ankommen, klappern alle mit den Zähnen.

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Das Highlight meiner Reise findet am nächsten Tag statt. Ich möchte noch sportlicher aktiv sein, noch mehr erleben und etwas machen, das ich in meinem Leben nie dachte, jemals zu machen. Nach über zwei Stunden Fahrt erreicht der kleine Bus Sólheimajökull, ein Gletscher, der es in sich hat. Wir bekommen das ganze Bergsteiger/Gletscher/Kletterer-Equipment, einige Anweisungen und dann wird marschiert. Der Reihe nach, wie in der Grundschule. Mit einem Hostel-Freund an meiner Seite macht der Ausflug noch mehr Spaß. Der Gletscher ist Wahnsinn! Da macht es auch nichts, wenn man den Namen nicht aussprechen kann. Wir besteigen den Gletscher und ich bin einfach nur hin und weg. Das ist so unglaublich toll und beeindruckend und faszinierend und wunderschön…und ich möchte unbedingt Glescherwanderin werden!

Dann kommt die große Herausforderung. Eisklettern. Der bärtige, australische Guide macht es uns vor. Easy, denke ich zuversichtlich. Immerhin habe ich schon Indoor Climbing ausprobiert und jaaaa, es ist anstrengend, aber meine Güte, soooo schwer ist das auch wieder nicht. Also kann Eisklettern auch nicht schwerer sein. Ich bin bereit. Knacke meine Fingerknöchel, dehne meine Muskeln und warte geduldig bis einer nach dem anderen sein Glück mit der Eiswand probiert. Die Männer beißen die Zähne zusammen und schaffen es größtenteils. Bei den Damen sieht es wieder anders aus. Die meisten kommen nicht weit. Das gibt’s doch nicht, denke ich. War denn noch niemand Indoor Climbing?

Und dann bin ich dran. Der Australier schnallt mich fest, gibt mir ein paar muntere Schulterklopfer mit auf den Weg und ich schlage den Eispickel in die harte Wand. Dann geht’s weiter. Die Frontzacken meiner Steigeisen folgen und ich ziehe mich hinauf. Puh. Das ist anstrengend. Egal, ich schaffe das. Es sind ja nur noch fünf Meter oder so. Ich ziehe mich hinauf und hinauf und hinauf und…kann nicht mehr. Ich bin erledigt. Ich rutsche schließlich ab und kann mich danach nicht mehr halten. Alles an mir zittert. Die Kälte bricht so schlagartig über mich ein, dass ich glaube, jeden Moment zum Eiszapfen zu wandeln. Der Guide feuert mich an. Offenbar sieht er potential. Aber ich bin echt fertig. Und als ich dann auch noch einen Eispickel verliere, gebe ich erst recht auf. Mit einem Eispickel allein klappt das nicht. Ich lasse mich nach zwei lausigen Metern wieder abseilen und ernte von meinem Guide ein mitleidiges Lächeln.

Der letzte Abend ist der beste. Den verbringe ich nämlich mit meinen Hostel-Freunden wieder an der Bar. In unserer Sitzecke, trinken Bier und hören einer Band aus Brooklyn zu, die heute bis Mitternacht spielen darf. Es herrscht eine wunderbare Stimmung und ich bin mehr als glücklich. Diese Leute um mich herum, die Band mit ihren Indie-Songs, die isländischen Mädels, die miteinander Arm in Arm eine Art Salsa tanzen und Applaus ernten. Völlig unpassend und doch irgendwie harmonisch. Alles ist verrückt, durcheinander, wunderbar und gemütlich. Wir stoßen an. Auf Island, auf unsere Touren, auf den Abend, auf uns, auf alle anderen, auf unvergessliche Momente wie diese.


Flug: Icelandair ab 250 EUR

Hostel: KEX Hostel ab 24 EUR

Aktivitäten: Blue Lagoon ab 62 EUR – Golden Circle Tour ab 65 EUR – Schnorcheln ab 115 EUR – Blue Ice ab 139 EUR